Wer im Lissabonner Stadtteil Belém entlang der Hafenpromenade spaziert, trifft Aufbruchstimmung an. Man ehrt hier die berühmten portugiesischen Entdecker, allen voran Heinrich der Seefahrer, zu dessen 500. Todestag im Jahre 1960 das »Denkmal der Entdeckungen« eröffnet wurde. Im 15. und 16. Jahrhundert haben die von ihm initiierten Entdeckungsreisen das Land groß gemacht und stellten den Beginn der europäischen Expansion dar. Portugal wurde zum Mittelpunkt des europäischen Handels von Gewürzen und sonstigen Reichtümern aus den neuen Welten.
Am Fuße des Denkmals liegt ein großflächiges Windrosen-Mosaik, in dessen Zentrum eine Weltkarte die portugiesischen Entdeckungen aufzeigt. Das Mosaik, ein Geschenk Südafrikas an Portugal, weckt Reiselust. Man kann sich lebhaft ausmalen, wie die mutigen Seefahrer hier den Hafen ihrer Heimat verliessen, um nach unbekannten Territorien und Schätzen zu suchen. So passierte Bartolomeu Diaz auf einer streng geheimen Entdeckungsfahrt unter portugiesischer Flagge 1488 als erster Europäer das Kap der guten Hoffnung. Im Jahre 1500 betrat Pedro Alvares Cabral in der Nähe des heutigen Porto Seguro zum ersten Mal brasilianischen Boden und gilt seither gemeinhin als Entdecker der späteren Kolonie Portugals.
Begrüßt wurden die nach Hause kehrenden Seefahrer der damals weltgrößten Seemacht an der Hafeneinfahrt Lissabons durch den »Torre de Bélem«. 1521 ließ König Manuel I. den 35 Meter hohen Leuchtturm erbauen, den man heute über einen Steg bequem zu Fuß erreichen und besichtigen kann.
Unmittelbar neben dem »Torre de Bélem« befindet sich ein weiteres Monument. Von einer beeindruckenden Steinmauer umrahmt steht ein Dreieck, einer Pyramide ähnlich, in einem Wasserbecken. In der Mitte des imposanten Mahnmals brennt ein Feuer. Links und rechts der Skulptur ist je ein Wächterhäuschen auszumachen. Im Schatten der Steinmauer sitzt ein alter Mann auf der mittleren Stufe eines Dreitritts und meißelt Zeichen in die Steinplatten. Rasch wird mir klar, dass es sich bei den Zeilen um Namen handeln muss. Namen, deren Träger nicht vom »Torre de Belém« begrüsst wurden, weil sie von ihrer Reise nicht zurückgekehrt sind. Mit voller Wucht nimmt mich die buchstäbliche Todesstille dieses Ortes ein.
Ich kann nicht anders. Ich muss diesen Ort betreten. Ich muss die Namen lesen, die der alte Mann in die Steinplatten meißelt. Ich muss die Kerben der einzelnen Buchstaben mit meinen Fingern berühren. Ich spüre mich durch das A von Antonio Pereira Ramos, Soldat. Wie eine Blinde ertaste ich die Furchen, die der Name Manuel Serafim Lavado im Stein hinterlässt. Aus den Ritzen fallen Bilder von Müttern, die ihre Söhne unter Tränen in den Krieg ziehen lassen. Bilder von Soldaten, die ihre Frauen zum Abschied küssen und etwas von Kampf für das Vaterland in ihre Ohren flüstern. Wüste Szenen von verschwitzten Männern in ihren Uniformen, wie sie töten, wie sie sterben. Die Bilder fließen aus den in die Steinplatten gehauenen Namen wie ein Wasserfall und ertrinken schließlich im Wasser, in dem das Mahnmal steht.
An einzelnen Namen klebt eine Rose und ich stelle mir vor, wie die Witwen und Geschwister dieser gefallenen Soldaten die Blumen 50 Jahre nach dem Krieg hierher gebracht haben. Vielleicht waren es auch die Kinder und Enkel – wie viele davon wohl ihren Vater niemals gesehen haben?
Während 1960 das Salazar-Regime mit dem beeindruckenden »Denkmal der Entdeckungen« die großen Namen wie Heinrich der Seefahrer, Vasco da Gama und Ferdinand Magellan ehrte, schürte hunderte Seemeilen entfernt die Unabhängigkeit Belgisch-Kongos einen Aufstand in der portugiesischen Kolonie Angola. Nur ein Jahr darauf entwickelte sich der vorerst friedliche Protest in ein Massaker, das Portugal schließlich militärisch niederschlug. Es folgten weitere Krisen in Guinea und Mosambik. Die Kolonialkriege in den afrikanischen Gebieten Portugals kosteten rund 10’000 portugiesischen Soldaten das Leben.
Mit dem Mahnmal und militärischen Ehren gedenkt man hier seit dem Jahr 2000 den gefallenen portugiesischen Überseekämpfern. Exakt jede Stunde erfolgt die Wachablösung der beiden bewaffneten Soldaten in den Wächterhäuschen. Ziehen die Wachsoldaten an der Landesflagge vorbei, wird diese militärisch gegrüßt. Vielen Familien ist das Kriegerdenkmal bestimmt ein Trost, ein Ort, der ihren in der Fremde verlorenen Lieben eine Erinnerung setzt, vielleicht sogar versucht, ihrem Tod eine Art Sinn zu geben.
Der Ort mag für viele Menschen unterschiedliche Bedeutungen haben, ich kann jedoch nur an eines denken: Nichts wird diese Namen jemals wieder zu Leben erwecken. Unwiederbringlich haben die Lebens- und Liebesgeschichten dieser Menschen in der Ferne ein jähes Ende gefunden. Und bei allem Respekt fällt mir auf, dass hier ausschließlich den landeseigenen Soldaten gedenkt wird.
Ich weiss nicht, ob die drei Monumente mit Absicht in dieser Reihenfolge auf so kleinem Raum erbaut wurden, vielleicht ist es Zufall. Noch nie jedoch habe ich auf geschätzten 200 Metern Promenade eine so geballte Ladung Geschichte erlebt, die sich immerhin über mehr als 500 Jahre erstreckt.
Ein interessanter und sehr informativer Reisebericht über Lissabon und seine Seefahrer, der durch die grossartigen Bildern noch untersützt wird. Ich finde, Du hast dir auch über das Kriegs-Mahnmal und das Los der gefallenen Soldaten aus den Kolonialkriegen sehr feinfühlige Gedanken gemacht und auch den Ort emphatisch beschrieben. Klasse!
Ich wünsche dir eine gute Sommerzeit. Liebe Grüsse Ernst
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Danke, es freut mich, dass Dir der Text gefällt. Ich mag Deine Reiseberichte auch sehr! Herzlich, Sandra
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