Der innere Buzzer

Zugegeben, manchmal braucht es nicht viel, bis ein Satz einen inneren Buzzer bedient und der schrille »Määäääh!!!« Alarm in meinen Ohren läutet. So geschehen heute auf Twitter, als mir dieser Tweet über die Timeline huschte:

Buzzer
Keine Ahnung, was #dopa ist, und von welcher Sängerin die Rede ist. Ist mir auch egal. Den Schreiber des Tweets habe ich – Sie erkennen die Symbolik – mit Handklatschen überpappt, und die geistreichen Kommentarscheiber ebenfalls. Geht ja nicht ums an die Wand prangern, sondern um die Sache.

Also, zur Sache: »Mit wem schläft die Sängerin, dass sie noch immer im #dopa auftreten darf?«

Hören Sie die Aussage hinter diesem Satz? Oder bin ich die Einzige, die zwischen diesen kurzen Zeilen (Kommentare inklusive) so etwas wie »Wer nichts kann, schläft sich halt hoch« liest? Ein abwertendes »Geht gleich mit allen ins Bett«?

»Sich hochschlafen«, ein Begriff, der nicht auszurotten ist. Nun, da ich keine wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema gefunden habe, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, woran das liegt. Möglich also, dass das Vorgehen, sich durch Sex mit jemandem einen bestimmten Vorteil zu verschaffen, durchaus vorkommt. Bleibt zu hoffen, dass dies in voller Entscheidungsfreiheit geschieht und sich niemand unter Zwang oder sogar existentieller Bedrohung dazu genötigt sehen muss. Sie merken es schon, ich mag nicht darüber urteilen, wer mit wem und unter welchen Umständen Sex hat, ich kann mir nur wünschen, dass alle Beteiligten Spaß daran haben.

Was mich triggert, ist diese perfide Art und Weise, Menschen zu beleidigen. Durch einen einzigen Satz stempelt man sie ab. Gleich mal festhalten, wer hier das Sagen hat und moralisch über den anderen steht.
Die Kehrseite der Medaille ist unangetastet. Kein Mensch würde sich jemals Gedanken darüber machen, was den »Empfänger« der Sex-Leistung antreibt. Erhofft der sich nicht auch einen persönlichen Vorteil? Eine abenteuerliche Nacht mit der Frau seiner Träume? Ein paar Stunden, in denen jemand seine kühnsten Wünsche erfüllt, eine Abwechslung zum Alltag, ein Ausbrechen?
Aber nein, das wäre zu banal, kommen doch solche Abenteuer und Ausrutscher bekannter weise auch dann vor, wenn dabei kein Karrierevorteil heraus springt. Zu diesem Thema gibt es sehr wohl wissenschaftliche Erkenntnisse.
Und nein, obwohl im obigen Tweet eine Frau zur Nutte abgestempelt wird, will ich nicht Frauenfeindlichkeit zum Thema machen. Spätestens seit Michael Crichtons Roman »Disclosure« im Jahre 1994 verfilmt wurde, konnten wir sehen, dass auch Frauen – in diesem Fall Catherine Zeta-Jones – Männer wie Michael Douglas sexuell belästigen. Und ja, auch dazu gibt es statistische Erhebungen.

Lassen Sie mich nun auch noch meinen Moralapostel ausspielen:
Es ist also etwas anderes dahinter, und ich vermute dabei die Ausübung von Macht. Es muss ein ganz besonderer Kick sein, lediglich aufgrund seiner (Macht-) Position jemanden in sein Bett zu kriegen. Diese Erhabenheit, wenn man irgendwann mal die Bemerkung »Ach die, der habe ich es auch schon gezeigt,« fallen lassen kann. Oder »Puh, der sieht zwar toll aus, aber ich sag’s dir, bringen tut er’s nicht.« Berühmtestes Beispiel scheint mir der amtierende US-Präsident Donald Trump zu sein, dessen »Grab them by the pussy« Spruch nicht mal auf einzelne Personen abzielte, sondern gleich auf das gesamte andere Geschlecht. Und ist man selbst nicht in einer solch machtvollen Funktion tätig, reicht auch schon mal ein dummer Spruch auf Twitter.

Haben Sie schon mal Sätze gelesen wie »Die Führungskraft XY kann das Potential seiner Mitarbeiter nicht erkennen und fördern, stattdessen testet er die sexuellen Kenntnisse der Bewerber/innen.« Oder »Was ist d a s denn für eine Jury, die Sängerinnen nach ihren Beischlafqualitäten beurteilt und nicht nach ihrem Gesang?« Nein? Bestimmt nicht, denn das würde bei niemandem eine beleidigende Wirkung auslösen, die Ausübung von Macht ist schließlich sexy und gilt als Kavaliersdelikt.
Wie erbärmlich aber ist ein Mensch, der seine Macht auf diese Art und Weise auslebt? Wie verachtenswert sind Systeme, in denen solche Menschen im Schutz des Schweigens und Vertuschens handeln können? Falls Ihnen keine Beispiele in den Sinn kommen, darf ich hier den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Kirchen, Heimen und Sportvereinen erwähnen. Oder die homophobe Verfolgung von sexuell anders gerichteten Menschen. Und auch wenn der obige Tweet im Vergleich zu weit schwerwiegenderen Taten banal erscheint, finde ich ihn schlicht verwerflich.

Fein, ich habe mich ausgetobt. Dann darf ich diesen Text mit dem Wunsch nach der globalen Einstellung solcher Beleidigungen beenden. Und Weltfrieden bitte, danke.

2 Kommentare zu „Der innere Buzzer

  1. Als ich das Wort ’sich hochschlafen‘ las, musste ich lächeln, bin nämlich altmodisch und wahrscheinlich auch nicht mehr „up to date“ :-). Ich hoffe mit dir, dass wenigstens alle etwas davon hatten. Du hast deine Meinung zu diesen perfiden Machenschaften lustig erzählt und mir öfter ein Schmunzeln entlockt. Ich glaube auch, dass Ausübung von Macht infolge der heutigen Info-Möglichkeiten der sozialen Medien als Antrieb dient und (der bekloppte) Trump nur die Spitze eines Eisberges ist. Auch gehe ich mit deinen Ansichten völlig einig.
    Wie hatten Dinos Sex? wäre doch auch mal ein Knallerthema, oder nicht? 😉
    Tja, der Weltfrieden, seufg Sandra, das ist nochmals ein anderes Thema.
    En liebe Gruess Ernst

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